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Sri Aurobindo über Deutschland

Passage aus Sri Aurobindo's "Zyklus der menschlichen Entwicklung", Seite 49 :
"....Wir müssen daher durch den roten Nebel von Blut und Krieg, durch die brandschwarze Verwirrung und das Chaos, das jetzt die Welt bedrückt, hindurchschauen, um zu gewahren, wo und worin das Versagen lag. Deutschland ist das zugestoßen, was dem Sucher auf dem Weg des Yoga, dieser Kunst bewußter Selbstfindung, dann zustößt, wenn er einem falschen Licht folgt, das ihn in spirituellen Ruin führt. Denn dieser Pfad ist weit abgründigeren Gefahren offen, als sie den Durchschnittsmenschen gewöhnlich befallen.
Deutschland verwechselte sein vitales Ich mit sich Selbst.
Es suchte seine Seele, aber es fand nur seine Kraft.
Die Seele eines Menschen oder eines Volkes ist aber etwas Göttlicheres als das. Sie ist größer als ihre Instrumente und kann in keiner physischen, vitalen oder sonst zeitbedingten Formel eingeschlossen werden.

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Im Detail ebenda ('The Human Cycle' Kapitel 4, "The discovery of the Nation-Soul") Bezug nehmend auf Deutschlands Rolle und Schicksal; deutsche Übersetzung von Friederike Werner

"- - ...es ist notwendig, wenn das subjektive Zeitalter der Menschheit seine besten Früchte hervorbringen soll, dass die Nationen nicht nur ihrer eigenen Seele sondern auch der Seele der anderen bewusst werden und lernen, einander zu respektieren und zu helfen und voneinander zu profitieren, nicht nur ökonomisch und intellektuell sondern auch subjektiv und spirituell.Die große entscheidende Kraft lag in dem Beispiel und der Aggression Deutschlands; Beispiel, weil keine andere Nation so selbstbewusst, so methodisch, so intelligent und vom oberflächlichen Standpunkt aus gesehen so erfolgreich versucht hat, die Kraft seines eigenen Wesens zu finden, zu dynamisieren, zum Besten zu nutzen und sich selbst zu leben; Aggression, weil die eigentliche Natur des Angriffs sowie die ausgegebenen Parolen dazu geführt haben, in den Überfallenen ein defensives Selbstbewusstsein zu erzeugen; gleichzeitig hat es sie gezwungen zu erkennen, was die Quelle dieser ungeheuren Stärke war und ebenfalls zu erkennen, dass sie selbst bewusst eine entsprechende Stärke in denselben tieferen Quellen suchen müssen.

Deutschland war in der Gegenwart das bemerkenswerteste Beispiel eines Volkes, das die subjektive Stufe vorbereitete, denn es hatte zunächst einmal eine Art Vision unglücklicherweise jedoch intellektuell statt erleuchtet - und es hatte den Mut, ihr zu folgen unglücklicherweise jedoch wiederum mit einer vitalen und intellektuellen statt einer spirituellen Kühnheit - und zweitens war es als Herr seiner Geschicke in der Lage, sein Leben so zu ordnen, dass es seine Selbst-Vision ausdrücken konnte. Wir dürfen uns nicht von den Erscheinungsformen zu der Annahme verleiten lassen, die Stärke Deutschlands sei von Bismarck erschaffen oder von Kaiser Wilhelm II. geleitet worden. Das Erscheinen Bismarcks war in mancherlei Hinsicht sogar ein Unglück für die wachsende Nation, weil seine harte, machtvolle Hand ihre Subjektivität in einem zu frühen Stadium zu Form und Aktion drängte; eine längere Inkubationszeit hätte möglicherweise weniger verheerende Folgen für sie selbst gezeitigt und sie wären für die Menschheit weniger gewalttätig ausgefallen. Die wahre Quelle dieser großen subjektiven, in ihrem objektiven Handeln so sehr entstellten Kraft lag nicht in Deutschlands Staatsmännern und Soldaten - zumeist waren sie als Menschentypen armselig genug - sondern sie kam von seinen großen Philosophen, Kant, Hegel, Fichte, Nietzsche, von seinem großen Dichter und Denker Goethe, von seinen großen Musikern, Beethoven und Wagner, und von all dem in der deutschen Seele und im deutschen Charakter, was diese repräsentierten. Eine Nation, deren Haupterrungenschaften fast ausschließlich auf den beiden Gebieten der Philosophie und der Musik lagen, ist eindeutig dazu prädestiniert, die Führung in der Wende zum Subjektivismus zu übernehmen und am Beginn des subjektiven Zeitalters ein tiefgreifendes Ergebnis zu zeitigen, zum Guten wie zum Bösen.

Dieses war die eine Seite der deutschen Bestimmung; die andere lag in seinen Forschern, Erziehern, Wissenschaftlern und Organisatoren. Für ihren Fleiß, die Treue zu Ideen, den ehrlichen und keine Mühe scheuenden Arbeitsgeist ist diese Nation so lange berühmt gewesen. Ein Volk mag in den subjektiven Fähigkeiten hoch begabt sein, doch wenn es versäumt, diese praktische Seite unserer komplexen Natur zu kultivieren, dann wird es nicht in der Lage sein, jene Brücke zwischen Idee und Imagination und der Welt der Tatsachen zu bauen, zwischen der Vision und der Kraft, welche die Realisation möglich macht; seine höheren Kräfte mögen der Welt zu Freude und Inspiration gereichen, aber es wird niemals von seiner eigenen Welt Besitz ergreifen, solange es jene demütigere Lektion nicht gelernt hat.

In Deutschland war diese Brücke da, obgleich sie zumeist durch einen dunklen Tunnel lief, unter ihm ein Abgrund; denn es gab keine reine Übermittlung vom subjektiven Geist der Denker und Sänger zum objektiven Geist der Forscher und Organisatoren. Die falsch e Anwendung der Lehren Nietzsches durch Treitschke auf nationale und internationale Belange, welche den Philosophen selbst zutiefst angewidert hätte, ist ein Beispiel für diese obskure Übermittlung. Und dennoch, eine Vermittlung fand statt.

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang richtete Deutschland ein tief schauendes Auge subjektiver Introspektion auf sich selbst, auf Dinge und Ideen, um die Wahrheit seines eigenen Wesens und der Welt zu suchen; ein weiteres halbes Jahrhundert richtete es ein geduldiges Auge wissenschaftlicher Forschung auf die objektiven Mittel zur Organisation dessen, was es gefunden hatte oder gefunden zu haben glaubte. Und getan wurde etwas, etwas wahrhaft Mächtiges und Gewaltiges; in gewissen Bahnen, nicht in allen, war dieses jedoch misslungen und beunruhigend. Unglücklicherweise waren diese Bahnen exakt jene zentralen Geleise, auf denen falsch zu gehen bedeutet, das Ziel zu verfehlen.

Man kann in der Tat sagen, dass das letzte Ergebnis dieses Geleisteten - der Krieg, der Zusammenbruch, jene gewaltsame Reaktion, die zu dem starren, bewaffneten, aggressiven und Furcht erregenden Nazistaat führte nicht nur entmutigend genug ist, sondern auch eine deutliche Warnung, jenen Pfad zu verlassen und zu den älteren und sichereren Wegen zurückzukehren. Doch der Missbrauch großer Kräfte ist kein Argument gegen ihren rechten Gebrauch. Zurückzugehen ist unmöglich; der Versuch ist in der Tat stets eine Illusion; wir müssen alle das gleiche tun, was Deutschland versucht hat, aber wir müssen Sorge tragen, es nicht auf die gleiche Art und Weise zu tun. Daher müssen wir über den roten Blutdunst des Krieges, über die brandschwarze Verwirrung und das Chaos, das die Welt nun bedrückt, hinausschauen, um zu erkennen, worin das Versagen lag und wie es dazu kommen konnte. Denn Deutschlands Versagen, welches angesichts der Wendung, die seine Aktionen nahmen, offenbar wurde und welches zunächst in einen totalen Zusammenbruch umgewandelt wurde, war dem leidenschaftslosen, nichts als die Wahrheit suchenden Denker schon damals deutlich.

Deutschland ist das zugestoßen, was dem Sucher auf dem Pfad des Yoga, der Kunst der bewussten Selbstfindung, manchmal zustoßen kann, wenn er einem falschen Licht folgt, das ihn in seinen spirituellen Ruin führt, denn dieser Pfad ist weit abgründigeren Gefahren ausgesetzt, als sie dem gewöhnlichen Menschen je begegnen. Deutschland verwechselte sein vitales Ego mit sich selbst; es hatte seine Seele gesucht und fand lediglich seine Kraft. Denn es hatte, wie der Asura, gesagt, "Ich bin mein Körper, mein Leben, mein Geist, mein Gemüt", und es hängte sich mit einer titanischen Kraft an diese; vor allen Dingen hatte es gesagt, "Ich bin mein Leben und Körper"; und für Mensch und Nation kann es keinen größeren Fehler geben als diesen. Die Seele eines Menschen oder einer Nation ist etwas Größeres und Göttlicheres als das; sie ist größer als ihre Instrumente und kann nicht in einer physischen, einer vitalen, einer mentalen oder einer gemüthaften Formel eingeschlossen werden. Sie einzuschränken hieße gleichzeitig, das Wachsen der inneren Wirklichkeit zu ersticken, auch wenn die falsche soziale Formation sich im waffenstarrenden sozialen Körper eines riesigen kollektiven menschlichen Dinosaurus verwirklicht, und am Ende stünden Verfall oder Auslöschung all dessen, was nicht plastisch und nicht anpassungsfähig ist.

Es ist offensichtlich, dass es einen falschen wie einen wahren Subjektivismus gibt und dass die Fehler, denen die subjektive Ausrichtung unterliegen mag, so groß sind wie ihre Möglichkeiten, ja sie können sogar zu riesigen Katastrophen führen. Diese Unterscheidung muss klar getroffen werden, wenn der Weg in diesem Stadium der sozialen Evolution für die menschliche Rasse gesichert werden soll."

Sri Aurobindo